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Channel: Kommentare zu: Absturz der Überflieger
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Von: wlku

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Zwei Anmerkungen...
…möchte ich gerne ergänzen:
1) Die Situation wirkt nicht nur auf die Psyche, sie wirkt auch auf die Moral. In einer idealen Welt sollten WissenschaftlerInnen kooperieren und in Zeiten von open data auch fair mit Daten umgehen, die sie oft nicht mehr selbst erhoben haben. Die derzeitige Situation trägt uns weit von dieser idealen Welt weg. Der heutige Postdoc imag an der Oberfläche extrem freundlich, glatt und kooperativ sein. Dahinter verbirgt sich aber allzuoft ein extrem konkurrenzorientiertes, egoistisches, hinterlistiges Monster. Dieses hässliche Gesicht sehen wir selten, natürlich nie beim Blick in den Spiegel, der ja sowieso immer weniger stattfindet, ist man doch ständig abgelenkt vom Blick in den Abgrund und vom Glanze derer, die es geschafft haben. Dass viele von ihnen nicht nur psychische sondern auch moralische Wracks sind, hat das System selektiert. Es zu verändern tut Not, aber wir haben schon viele BildungsministerInnen kommen und gehen sehen, ohne dass je ernsthaft etwas geschah. Mein Optimismus hält also auch heute in Grenzen, denn niemand fragt ja bei einem Nature-Paper nach seiner Entstehung. Der Erfolg rechtfertigt auch hier die Mittel.

2) Das Problem wird sich in den kommenden Jahren verschärfen, weil die EU ein neues Instrument geschaffen hat, das im Ansatz vielversprechend ist, durch zögerliche Umsetzung aber – wie vieles in Europa – gerade Gefahr läuft, an die Wand gefahren zu werden. Es handelt sich um die sogenannten Forschungsinfrastrukturen, also langfristige Einrichtungen, die die Spitzenstellung der europäischen Forschung nachhaltig sichern sollen. Ein strategisches Forum der nationalen Ministerien (ESFRI) entwickelt seit gut 10 Jahren die technischen und administrativen Instrumente und setzt anhand wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Kriterien bestimmte Wissenschaftsbereiche auf eine “Roadmap”. ESFRI Roadmap Projekte werden dann von den nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission gemeinsam zu Europäischen Forschungsinfrastrukturen entwickelt. Der Hauptgedanke dabei ist, dass Europa seine Kräfte bündeln muss um global konkurrenzfähig zu sein.
In diesem Prozess entstehen gerade zwei neue Typen von Wissenschafts-Karrieren, die eine Reflexion der Anstellungskriterien nötig machen: nennen wir sie (a) den Daten-Wissenschaftler und (b) den Infrastruktur-Wissenschaftler*. Ihre Arbeit und ihre Karriere-Aussichten unterscheiden sich grundsätzlich. Um sie zu erfassen muss man wissen, dass viele Infrastrukturen eine sehr offene Datenpolitik haben – die Daten werden sehr schnell und ohne weitere Restriktionen einer breiten Nutzergemeinschaft zur Verfügung gestellt. Infrastrukturen sollen ja helfen, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Der Daten-Wissenschaftler hat also breiten Zugang zu Daten, die er nicht – wie in der klassischen Situation – selbst erhoben hat, sondern die ihm auf dem Silbertablett serviert werden. Er entwickelt spezielle mathematische, statistische und informations-technische Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen Wissen aus grossen Datenmengen zu generieren, ganz neue Schlüsse zu ziehen, komplexe Systeme zu entwickeln, in denen Datenströme und mathematische Modelle entwickelt werden. Eine faszinierende neue Wissenschaft, in der sich gerade die klügsten Köpfe tummeln und die aufgrund eines hohen Ausstoßes von Publikationen enorme Karrierechancen eröffnet.
Betrachtet man die moderne Arbeitsteilung in der Wissenschaft als Ökosystem, dann ist der Daten-Wissenschaftler die höchste trophische Stufe.
Der Infrastruktur-Wissenschaftler ist der Primärproduzent. Seine Welt sind Datenqualität und technische Innovation – durchaus faszinierend, extrem wichtig, aber nach den aktuellen Karriere-Kriterien brotlos. Ich würde meinen Kindern zur Zeit nicht raten, diesen Karriere-Weg einzuschlagen, denn die Wissenschafts-Politik sorgt sich nicht um die Primärproduzenten – sie pampert die Top-Predatoren. Nach meiner Ansicht ein schwerer Fehler, der die Forschungsinfrastrukturen in ihrer Funktionsfähigkeit gefährdet – übrigens europaweit.
Zu schaffen wäre eine Karrieremöglichkeit, die Sicherheit bietet für die Bereitschaft eine wichtige Funktion zu erfüllen ohne allerhöchste Karriereaussichten dabei zu erlangen. Das kann durchaus attraktiv sein, weil ja z.B. Familienplanung ermöglicht wird und nicht jeder in den harten Konkurrenzkampf um Excellenz einsteigen möchte (siehe Anmerkung 1). Und wer weiss: vielleicht erblüht manche geniale wissenschaftliche Blume ja auch in sicheren Biotopen.
Eine letzte Anmerkung: die ausseruniversitären Forschungseinrichtungen haben mehr, wenn auch immer noch zu wenige Möglichkeiten solche Karriereoptionen zu ermöglichen. Die Universitäten drohen bei den Forschungsinfrastrukturen abgehängt zu werden. Wenn den Ländern ihre Universitäten wichtig sind, sollten sie erkennen, dass Handlungsbedarf besteht.

*Ich beschreibe beide mal mit männlichen Attributen, dies geschieht aus Bequemlichkeit, weisst aber durchaus auch darauf hin, dass Männer in dem unter (1) beschriebenen System offenbar häufig besser funktionieren…


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